Auf winterlicher Spurensuche am Grenzfluss Maltsch

Fast ganz Zettwing / Cetviny wurde 1956 dem Erdboden gleichgemacht. Nur die Dorfkirche und drei weitere Gebäude bleiben stehen.
Fast ganz Zettwing / Cetviny wurde 1956 dem Erdboden gleichgemacht. Nur die Dorfkirche und drei weitere Gebäude bleiben stehen.

 

Kein Ort an der oberösterreichisch-südböhmischen Grenze spiegelt mehr die wechsel- und leidvolle Geschichte beider Länder wider als der ehemalige Markt Zettwing/Cetviny an der Maltsch. Marco Vanek war mit der Grünen Bildungswerkstatt im Grenzgebiet unterwegs.

 

„Bis 1990 war hier das Ende der Welt, heute beginnt die Welt hier“, meint Wolfgang Sollberger über die wechselvolle Geschichte von Leopoldschlag. Der Leiter des Green Belt Centers des oö. Naturschutzbundes lebte in dieser Mühlviertler Gemeinde schon, als noch am anderen Flussufer die Grenzsoldaten patrouillierten. „Viel bekamen wir von drüber nicht mit“, erinnert er sich. „Hie und da sahen wir Soldaten auf den Wachtürmen, mehr war nicht zu sehen“. Heute ist das ehemalige Sperrgebiet frei zugänglich. Von der Lexmühle, etwa drei Kilometer vom Marktplatz Leopoldschlags entfernt, führt heute eine schmale Brücke für FußgeherInnen und RadfahrerInnen auf die andere Flussseite. Das kleine Zollwärterhaus auf österreichischer Seite hat seit dem Ende der Grenzkontrollen seine Funktion verloren, auf tschechischer Seite wurde aus dem alten Zollgebäude ein Privathaus. Die Maltsch mäandriert hier sehr stark, bei jedem Hochwasser verändert sich der Flusslauf ein wenig, aber auch der Grenzverlauf. „Die Staatsgrenze ist immer genau die Flussmitte“. Es kann also sein, dass nach einem Gewitter mit anschließendem Hochwasser, Österreich ein paar Quadratmeter größer geworden ist oder auch kleiner. Ein Stück hinter dem alten tschechischen Zollhaus steht noch eine verfallene Kaserne der Grenzsoldaten. Mitte der 50er Jahre wurde das Dorf Zettwing geschliffen , wo vor dem Zweiten Weltkrieg noch um die 550  EinwohnerInnen lebten, davon sprachen etwa 520 Deutsch als Umgangssprache. Nur die Kirche blieb stehen, sowie vier weitere Häuser. Eines davon wurde später zu einer Kaserne für die Grenzsoldaten umgebaut.  

 

 

Über 29km ist die Flussmitte der Maltsch die Staatsgrenze zwischen Österreich und Tschechien
Über 29km ist die Flussmitte der Maltsch die Staatsgrenze zwischen Österreich und Tschechien

Die Dorfkirche wurde seit 2005 aufwändig renoviert, vor allem mit Unterstützung des tschechischen Kulturministeriums und des Landes Oberösterreich. Die 600 Jahre alten Fresken sind wieder gut sichtbar und der Kirchenraum wird vor allem für das alljährlich im August stattfindende Erinnerungstreffen der alten EinwohnerInnen genützt, aber auch für Konzerte. Der alte Ortskern des kleinen Städtchens, das 1418 das Marktrecht verliehen bekamt ist nicht mehr erkennbar. Es waren deutsche Kolonisten, die im 13. Jahrhundert im Auftrag des böhmischen und oberösterreichischen Adels dieses Dorf gründeten. Erst im 19. Jahrhundert wuchs das Dorf zu einem Städtchen mit allerlei Handwerksbetrieben und Dienstleistern: So zählte die Gemeindechronik im Jahr 1921 eine bunte Palette an Betrieben auf: Färber, Fassbinder, Uhrmacher, Friseur, Töpfer, Weißgerber, Wagenbauer, Hufschmied, Arzt, Schriftmaler, Müller, Bäcker, Versicherungsagent, Sattler, Glaser, Schindelmacher…

 

120 Häuser gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Zettwing, das ein - typisch für diese Region - langgezogenes Straßendorf war.
120 Häuser gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Zettwing, das ein - typisch für diese Region - langgezogenes Straßendorf war.

 

Reger Handel wurde immer schon zwischen den Gemeinden diesseits und jenseits der Maltsch betrieben. Der Fluss bildete seit dem 16. Jahrhundert die Grenze zwischen Böhmen und Oberösterreich. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Grenze vor allem verwaltungstechnischer Natur. Nach Einführung einheitlicher Gerichts- und Verwaltungsbezirke gehörte Zettwing zum Bezirk Kaplitz, Leopoldschlag zum Bezirk Freistadt. Die Maltsch bildete somit bis 1918 einen Teil der Bezirksgrenze innerhalb der k.u.k. Monarchie.

Im Alltag spürbar wurde die Grenze erst nach dem Ersten Weltkrieg, als der Bezirk Kaplitz der Tschechoslowakei zugeschlagen wurde. Daraufhin wurden in Zettwing und auf der gegenüberliegenden Seite in Leopoldschlag Zoll- und Grenzkontrollstationen errichtet. Da es in Böhmen der 20er Jahre eine bessere Versorgungslage gab, fand reger Schmuggelverkehr entlang der neuen Grenze statt. 1930 zählt das kleine Städtchen noch 523 EinwohnerInnen mit deutscher Umgangssprache und 29 EinwohnerInnen, die Tschechisch sprachen.

 

 

Dank der jahrzehntelangen Abschottung ist heute die Maltsch auf weiten Strecken ein Naturjuwel geblieben
Dank der jahrzehntelangen Abschottung ist heute die Maltsch auf weiten Strecken ein Naturjuwel geblieben

 

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich begannen die turbulenten Jahre Zettwings. Im September 1938 kam es zwischen Zettwing und Leopoldschlag zu Feuergefechten zwischen tschechischen Grenzbeamten und dem sudentendeutschen NS-Freikorps, bei dem ein tschechischer Soldat getötet wurde. Am 22. September 1938 entführten sudetendeutsche Milizen und Mitglieder der SA in Zettwing 19 tschechische Grenzbeamte und vier Frauen sowie zwei Kleinkindern und internierten sie in Salzburg. Mit dem Münchner Diktat im Herbst 1938 wird Zettwing dem Gau Oberdonau angegliedert, bis zum 10. Mai 1945, als die tschechoslowakische Republik wiederhergestellt wurde. Kurz darauf wurden alle Zettwinger Männer, die bei der SA oder beim NS-Freikorps waren, verhaftet. 1946 wurden schließlich alle deutschsprenden ZettwingerInnen nach Österreich bzw. Deutschland ausgewiesen. In das nun fast leere Dorf siedelte die tschechoslowakische Regierung etwa hundert ImmigrantInnen aus Rumänien an. Aber nur für kurze Zeit, weil nach der kommunistischen Machtergreifung ab 1956 entlang der Grenze eine Sperrzone errichtet wurde und 120 Häuser geschliffen wurden, bis auf die Kirche und vier Häuser.

 

 

Nur vereinzelt sind Fundamente des einstigen Ortskernes sichtbar; heute ist am ehemaligen Marktplatz ein kleiner Auwald entstanden.
Nur vereinzelt sind Fundamente des einstigen Ortskernes sichtbar; heute ist am ehemaligen Marktplatz ein kleiner Auwald entstanden.

Über 30 Jahre stand der Eiserne Vorhang. Zwischen der tatsächlichen Flussgrenze und dem ersten Zaun gab es einen Sperrstreifen, der bis zu fünf Kilometer breit war. Dazwischen gab es strombeladene Signalwände, zeitweise auch Minenfelder. Die Zettwinger Dorfkirche diente als Stall und Schlachtraum, der Kirchturm als Wachturm. Immer wieder kommt es hier zu Fluchtversuchen, Durchbrüchen und Todesschüssen.

 

Seit 1990 ist nun das alte Gemeindegebiet von Cetviny wieder frei zugänglich. Die jahrzehntelange Abschottung zeigt noch heute ihre Wirkung, positiv und negativ. Der soziale und wirtschaftliche Austausch ist während der Zeit des Eisernen Vorhanges praktisch zum Erliegen gekommen und muss heute erst wieder mühselig aufgebaut werden. Auch dank verschiedener EU-Förderprogramme sprießen im Grenzland zarte Pflänzchen der Zusammenarbeit. Das europäische Schutzgebiet Natura 2000 – Gebiet ist eines davon. Dank der Abschottung ist die Maltsch ein Naturjuwel geblieben. Geschützt wird hier vor allem der Wachtelkönig, Braunkehlchen, Neuntöter, Bekassine und die Fischotter.