Im Schritttempo schaukelt unser Bus die enge Straße hinauf. Links klafft ein steiler Abhang, der den Blick auf bewaldete Hügel freigibt. Rechts klatschen Blätter und Äste gegen die Scheibe, hinter denen sich satte Wiesen und abgemagerte Pferde verstecken. Seit gut zwei Kilometern geht das so, seit der Bus von der Landstraße auf die schmale Bergstraße abgebogen ist. Jetzt bloß kein Gegenverkehr! Doch am Ende kommt uns doch ein Holzlaster entgegen. Vlamen – unser Busfahrer – muss alle seine Lenkkünste aktivieren, damit der Bus so weit wie möglich zum Straßenrand kommt, damit der LKW vorbeifahren kann.
Uns erwartet im Dorf nicht viel: 100 Häuser stehen hier noch, die meisten vollkommen verfallen oder leerstehend. Ganze neun BewohnerInnen leben hier das ganze Jahr über, wird uns Svetlana Raleva später erzählen. Einst waren es in dem südbulgarischen Gebirgsort über tausend, meist Schafhirten. Die meisten hat es längst in die Städte verschlagen, etwa in den zehn Kilometer entfernt liegenden Hauptort zu dem Kosovo verwaltungsmäßig gehört. In den 1950er und 1960er Jahren fanden dort die BewohnerInnen Arbeit und besseren Wohnraum in den gerade neu errichteten Plattenbauten.
Tradition gepaart mit Nachhaltigkeit
Für Svetlana Raleva, eine kleine Frau mit kurzen roten Haaren, ist das Geisterdorf in den Rhodopen trotzdem ein Paradies. Und der beste Platz, um ihre eigene Pension zu führen. "Die Idee war, die typische bulgarische Atmosphäre zu erhalten und für Touristen neu zum Leben zu erwecken", erzählt uns die 62-Jährige, die aus Sofia nach Kosovo kam. Drei Anwesen im Ort hat Raleva seit 2005 mit ihrem Mann Hristo und Sohn Dmitar wieder bewohnbar gemacht. Sorgsam restaurierten sie mit einheimischen Handwerkern die alten Steinwände und Holzbalken der traditionell mehrstöckigen Häuser. Bis zu 55 Gäste haben heute in den "Kosovo Houses" Platz, zu denen auch ein kleiner Gastbetrieb gehört.
Dort huscht die Gastgeberin selbst an den hölzernen Tischen entlang, reicht heiß dampfende Schüsseln und Brot. Einen deftigen Eintopf mit Kartoffeln, Karotten und Hühnerfleisch hat sie heute zubereiten lassen. Wie meistens stammen fast alle Zutaten aus dem eigenen Garten und dem umliegenden Wald.
Kosovo ist kein Einzelfall.
Viele Dörfer in Bulgarien haben kaum noch EinwohnerInnen. Während des Sozialismus wurden die Bauern zu Arbeitern in der Schwerindustrie gemacht. Traditionen, familiäres Erbe, Haus und Hof wurden
dem verordneten Fortschritt damals geopfert. Heute ziehen wieder viele fort. Bulgarien blutet aus. Nach der Wende hatte Bulgarien etwa neun Millionen Einwohner, jetzt sind es noch 7,2 Millionen.
Als Hristo und Svetlana ihre Rückkehr aus Venezuela planten, haben sie sich ganz bewusst ein Haus in einem verlassenen Bergdorf gesucht, um es zu renovieren und ein Gästehaus zu eröffnen. "Damit Leben zurückkehrt." Sie hatten ein ähnliches Projekt in Frankreich gesehen und sie wollten ebenfalls ein Zeichen setzen. Warum? "Vielleicht, weil man seine Wurzeln wieder mehr zu schätzen weiß, wenn man lange fort war", sagt die 62-jährige Svetlana. Nun pflegen sie bewusst bulgarische Traditionen.
Harte Jahre haben Svetlana und Hristo hinter sich und viele schlaflose Nächte, ob ihre Entscheidung die Richtige war. Doch seit vorigem Jahr laufe es, sagt Svetlana. Und: Sie wolle nie mehr woanders hin. Der Tisch auf der Veranda ist voller Pilze, die Hristo an diesem Tag gesammelt hat. Einsam fühle sie sich nicht. "Wir machen uns nichts vor, die Leute werden nicht nach Kosovo zurückkehren." Aber es gebe die Ersten, die sich hier ein Ferienhaus renovieren. In Kürze soll ein Paar ins Dorf ziehen. Dann hätte Kosovo elf EinwohnerInnen.