Es ist kein Zufall, dass das Vaser-Tal nach dem deutschen Wort Wasser klingt. Es waren Oberösterreicher und Deutsche, die ihm diesen Namen gaben: Wassertal. Im Jahr 1776 ließ der österreichisch-ungarische Staat sieben Holzarbeiter aus Deutsch-Mokra im damaligen Zipser Land gelegen, ins Wassertal bringen. Mit anderen Holzfällern, Flößern und Handwerkern wurden sie bereits 1740 aus Gmunden und Ebensee an den Rand der Monarchie umgesiedelt. Drei Jahrzehnte später packten sie wieder ihre Sachen und zogen auf die andere Seite der Karpaten. Es waren durchwegs keine erzwungene Umsiedlung, wie bei den ProtestantInnen, die etwas weiter südlicher nach Siebenbürgen verbracht wurden. Bei jenen Waldarbeitern überwogen wirtschaftliche Gründe. Denn die Region der Waldkarpaten war sehr waldreich, aber es fehlten Fachkräfte, um die Wälder auch wirtschaftlich nützen zu können. Zudem herrschte im Salzkammergut Mitte des 18. Jahrhunderts Überbevölkerung und hohe Arbeitslosigkeit. In der sehr schütter bevölkerten Maramuresch hingegen wurden diese Arbeitskräfte gebraucht. Die österreichische Verwaltung gewährte den Neuansiedlern einen privillegiert Rechtsstatus, weiters Ansiedelungshilfe in Form von Haus und Grund und unterstützte die Gemeinden beim von Schulen und Kirchen. Laut oö. Landlerhilfe leben heute noch 1200 Nachfahren dieser AuswandererInnen in Oberwischau
Mit den AltoberösterreicherInnen kam noch weitere deutschsprachige EinwandererInnen, vor allem aus dem Zipser Land, aber auch chassidische Juden aus Russland und der Ukraine. Heute zeugt noch der jüdische Friedhof oberhalb der Stadt vom vergangenem jüdischen Leben. Ende des 18. Jahrhunderts lebten in Oberwischau nur vereinzelt rumänische BewohnerInnen, meist in kleineren Dörfern und Einzelhöfen außerhalb des Ortskerns
Bis heute haben sich Reste der deutschen Vergangenheit gehalten. Deutsch ist nicht wirklich eine Fremdsprache - viele verstehen zumindest ein paar Brocken davon. Einige haben Verwandte, denen mit dem Nachweis deutscher Vorfahren die Auswanderung nach Deutschland gelang. Der örtliche deutsche Kulturverein organisiert regelmäßig Veranstaltungen und Feste.
Oberwischau, rumänisch Viseu de Sus, ist heute eine beschauliche Kleinstadt am Eingang des Vaser-Tals mit heute etwa 15.000 EinwohnerInnen. Es gibt nur eine einzige Brücke für Autos. Der Rest des Verkehrs und der Geschäfte wird zu Fuß erledigt - über fragile Hängebrücken hinweg: Zwei Drahtseile zum Festhalten, im Wind schaukelt es bedrohlich, und immer wieder sind ein paar Bretter morsch.
Holz lockte einst die ZuwandererInnen an, heute ist Holz nach wie vor Lebensgrundlage dieser Region. Es steht an den Flussufern im wildromantischen Wassertal, in das keine Strasse führt. Jahrhundertelang wurden die mächtigen Stämme im Fluss herunter ins Tal geflösst, 1925 baute man die schmalspurige Bahnstrecke, die den Transport von Menschen, Bäumen und Material wesentlich erleichterte. Die Bahn fährt bis heute, teilweise sogar noch mit Dampflokomotiven. Heute kommen die meisten TouristInnen hauptsächlich wegen dieser Eisenbahn, der letzten ihrer Art in Rumänien. 2008 begann eine schweizerische Hilfsorganisation mit der Instandsetzung der Gleisanlagen und der Fahrzeuge und übernahm daraufhin den Betrieb.
Die Holzarbeiter sind, wenn die ersten Touristen kommen, schon lange oben im Tal. Montags um sechs Uhr früh stehen sie am Bahndamm, Plastiktaschen in den schwieligen Händen und die Motorsäge ans Knie gelehnt. Jene, die ganz nach oben fahren, 40 Kilometer weit bis zur Holzfällersiedlung Faina, werden die ganze Woche dort oben in Baracken schlafen. Die Bahn braucht über drei Stunden für die Strecke, da lohnt sich tägliches Pendeln nicht.
Der kleine Kiosk, der schon vor der Morgendämmerung öffnet, verkauft, was die Männer brauchen werden: Speck, Brot und Zigaretten. Sie müssen sich selbst versorgen, denn die kleinen Dörfer oben im Tal sind seit vielen Jahren nicht mehr bewohnt. Wenn die Holzfäller am Samstagmittag hier wieder aussteigen, nach fünf Tagen harter Arbeit im Wald, wird im Kiosk Hochbetrieb herrschen. Dann gibt es Schnaps und Bier, bis spät in die Nacht.
Der Heizer poliert jeden Tag die Lampen der Lokomotiven, prüft die Achslager, schmiert, wo es notwendig ist, lässt Wasser nach und pfeift mit der Lok, wenn er am Balkon seines eigenen Hauses vorbeifährt. Das schaut aus wie im Bilderbuch, aber es ist ein Beruf, in dem man nicht alt wird. Im Führerstand ist es unerträglich heiß, der Rauch beißt in den Augen, im Winter schwitzt und friert man gleichzeitig. Den Bremsern geht es nicht viel besser. In der Abenddämmerung, wenn die voll beladenen Waggons mit den schweren Stämmen aus dem Tal herunterkommen, stehen sie auf den Waggons, bei jedem Wetter, und müssen aufpassen, dass es nicht zu schnell bergab geht. Es ist nicht leicht, so eine Arbeit durchzuhalten, ohne dem Schnaps oder dem Schlendrian zu verfallen. Doch das ist hier lebensgefährlich.
So gesehen, ist Maramures eine Zeitreise in die Vergangenheit des Landlebens. Die Gegend war immer zu abgelegen, als dass sie strategischen Wert gehabt hätte; so entging das störrische, ethnisch durchmischte Bergvolk dem Kahlschlag der Modernisierung ebenso wie der Zwangskollektivierung unter den Kommunisten. Die kleinen Bauernhöfe sind weitgehend Selbstversorger: Hinter dem Haus ein Gemüsegarten, die Obstbäume werden vor allem zum Schnapsbrennen gebraucht. Auf der Wiese weiden ein paar Ziegen, im Stall steht eine Kuh, in einem Verschlag ein Schwein, das die Reste vom Mittagessen kriegt, Kaum Maschinen, kaum Fahrzeuge, viel Handarbeit, vom Holzhacken bis zum Wäschewaschen: sonntags ist Kirche, donnerstags ist Markt. Morgens kräht der Hahn, am frühen Abend sitzt man vor dem Haus und schaut, wer vorbei geht.. Es ist ein vordergründig idyllisches Leben. Aber wer mehr als einen flüchtigen Blick hineinwirft, kann ahnen, dass es hart ist.
Wir organisieren zu Ostern 2017 eine Reise durch die Maramuresch und werden fünf Nächte in Viseu de Sus verbringen. Anmeldungen sind noch bis 15. Februar möglich.