Annäherungen an einen scheinbar idealen Ort
Der Unternehmer Thomáš Bat'a prägte seine Geburtsstadt nachhaltig und machte Zlín zum ersten funktionalistischen Ort der Welt. Von hier entwickelte er seine Schuhfirma zu einem Weltkonzern. Mehrere namhafte Architekten realisierten seine Visionen für eine neue Stadt und einen visionären Lebensentwurf. Doch es gab auch Schattenseiten...

Von oben ist die Stadtentwicklung von Zlín am besten zu erkennen. Unser Begleiter Jan Schanelec fährt mit uns hinauf ins letzte der 16 Stockwerke des einst zweithöchsten Gebäudes Europas. Das Verwaltungsgebäude Nr. 21 wurde 1928 fertiggestellt und wurde der Öffentlichkeit als Bat'a Wolkenkratzer bekannt. Der Stadthistoriker Zdeněk Pokluda bezeichnet Thomáš Bat'a in einem Beitrag im Online-Architekturmagazin Link als "Selfmademan, da sein Name fast schon Symbolcharakter besitzt.“ Denn mit Bata erhielt Zlín „den Ruf einer Stadt der Gärten und der modernen Architektur, deren Antlitz sie sich bis heute bewahrt hat.“
Die Werksanlage weist eine stringente Struktur auf, mit der von weitem sichtbaren Nummerierung. Die Arbeiterwohnsiedlungen schließen fast nahtlos an das Produktionsgelände an. Dazwischen liegen das zehnstöckige Kaufhaus, das für damalige Verhältnisse riesige Kino mit 2.200 Sitzplätzen, die Markthalle und die Wohnheime für Lehrlinge und ledige Mitarbeiter.
Zwei breite Straßen durchziehen die sogenannte Bat'a-Stadt in gerader Linie. Sie passen damit ideal zu der Bata’schen Industriebackstein-Architektur. Serielle Effizienz und auf Zuwachs gepolte Produktivität wurden in den Herstellungsprozessen wie auch in der Bauweise der Fabriken miteinander verzahnt, schreibt der Journalist Jan Dimog in einer Reportage über die Stadt.

Von der Schuhwerkstatt zum Weltkonzern
Am Anfang der Bat'a-Story standen Thomáš, Antonin und Anna, die 1894 in Zlín eine Schuhmacherwerkstatt gründeten. Thomáš leitete diese später alleine und baute sie innerhalb von drei Jahrzehnten zu einem weltweiten Schuhimperium auf, das schließlich zu einem Mischkonzern wurde, der am Ende neben den Schuhen chemische Produkte, Papier, Gummi, Lebensmittel und Textilien produzieren sollte. In der Hochphase der 1930er-Jahre beschäftigte die Firma alleine in Zlín über 32.000 Menschen und noch einmal soviel an ihren Standorten auf allen Kontinenten.
Zwischen 1923 und 1938 wuchs am Stadtrand von Zlín ein ausgedehntes Betriebsareal mit einigen Dutzend Werksgebäuden heran, ausgestattet mit modernsten Maschinen und Tausenden neuer Arbeiter. Damit änderte sich auch das ganze Stadtbild. Dagmar Nová ist Architektin aus Zlín und sagte in einem Beitrag von Radio Prag: „In rund 20 Jahren wurde Zlín zu einer Großstadt – für damalige Verhältnisse. Die Einwohnerzahl stieg von etwa 4600 zu Beginn der 1920er Jahre auf fast 40.000 im Jahr 1937. Damals diskutierte man im Ausland über theoretische und urbanistische Konzepte zu linearen Vierteln beziehungsweise Gartenstädten. Gerade diese wollten Baťa und seine Mitarbeiter beim weiteren Ausbau Zlíns als hochmoderne Stadt umsetzen.“
Standardisiertes Bauen beschleunigte die Expansion
Nach Aufenthalten in den USA bei dortigen Fabrikanlagen begann Thomáš bereits Mitte der 1910er Jahren mit dem
Aufbau der Gebäude nach amerikanischem Vorbild, erklärt uns Jan Schanalec. Ein wichtiges Merkmal war die Standardisierung von 60 x 20 Meter, drei Etagen, unverputztem Mauerwerk und Decken und
Säulen aus Holz. 1918 kam ein weiterer Typ hinzu: 80 x 20 Meter, fünf Etagen, Stahlsäulen. Eine eigens für das Eiltempo der Bauarbeiten hochgezogene Ziegelei beschleunigte die Bauzeiten um ein
Vielfaches. 1927 wurde ein einheitliches System aus Stahlbetonskeletten mit einer Spannweite von 6,15 x 6,15 Meter entwickelt, die mit Hilfe von
verschiebbarer Schalung realisiert wurde. Die unverputzte Ziegelausmauerung mit den großen, geteilten Fenstern wurde zum Markenzeichen des einheitlichen Erscheinungsbildes der Zlíner
Bat'a-Architektur. Durch die standardisierte Bauweise konnten innerhalb kurzer Zeit die mehr als 30 Werksgebäude in Zlín errichtet werden. Das Werksgelände muss 20 Jahre lang praktisch eine
einzige Baustelle gewesen sein.
Schöner Wohnen im Bat'aversum
Gleichzeitig mit der Expansion der Firma musste Bat'a für die vielen neuen Mitarbeiter:innen entsprechenden Wohnraum schaffen. Nach ähnlichen standardisierten Prinzipien wie bei der Errichtung
der Produktionshallen wurden tausende Wohnhäuser rund ums Werksgelände errichtet. Für Lehrlinge gab es eigene Wohnheime, getrennt in Mädchen- und Burschentrakte, Viertelwohnhäuser für die
"einfachen" Arbeiterfamilien, die dann später zu Doppelwohnhäusern wurden, etwas gehobener war der Standard für die Fach- und Lehrkräfte. Das Management durfte bereits in villenähnlichen Häusern
wohnen und für die Bat'a-Familie gab es am anderen Teil der Stadt schon etwas prunkvollere Villen.
Nur etwa ein Zehntel des Lohnes mussten die Arbeiter fürs Wohnen in den Bat'a-Häusern aufwenden. Dafür hatten sie genügend Geld über, um in den bat'aeigenen
Kaufgeschäften einzukaufen. In der Mitte der Bat'a-Stadt befand sich ein großes Kaufhaus, wo alle Dinge des täglichen Bedarfs, sowie fürs Wohnen eingekauft wurden.

Totale Kontrolle:
Thomáš Bat'a hatte konkrete Vorstellungen, wie seine Arbeiter:innen wohnen und leben sollten. So wurde streng überwacht, ob der Rasen auch regelmäßig gepflegt wurde, ob keine Kleintiere gehalten
wurden und wie sich die Familien ins Lebensgefüge der Bat'a-Stadt integriert hatten. So wurden eigene Kontrolllisten geführt und penibel vermerkt, wie die Lebensführung von statten ging.
Gemäß Thomáš Bat’as Maxime „Gemeinsam arbeiten, individuell leben“ sehen die Wohnhäuser völlig anders aus als in anderen Industriestädten. Es sind einfache kubische Ziegelbauten mit Flachdach, für höchstens vier Parteien bestimmte Wohnhäuser, die frei und ohne Zäune von Gärten umgeben sind. Geschosswohnungsbau lehnte Thomáš Bat’a ab, aus Furcht, die Arbeiterschaft könne sich in der Freizeit organisieren. Kontrolle und Disziplin der Beschäftigten aber erachtete Thomáš Bat’a für die Massenproduktion von Schuhen als unumgänglich. Der Alltag in Zlín in den beiden Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert daher an Schilderungen von Aldous Huxley oder George Orwell. Thomáš Bat’a glich einem allgegenwärtigen Big Brother. Überall in der Stadt waren Parolen angebracht, aus Lautsprechern ertönten Slogans. Thomáš Bata gehörte nicht nur die Fabrik, alle Gebäude, kurzum die ganze Stadt, zu deren Bürgermeister er schließlich auch noch gewählt wurde.
2009 fand in Zlin ein Symposium über den Umgang mit den Hinterlassenschaften der Moderne in urbanistischer Hinsicht statt. „Learning from Zlín?“ hieß die
Frage. Was aber könnte man von Zlín lernen? Zunächst einmal viel Historisches schreibt die taz dazu in einem Bericht, das sich auch mit dem Resumeé unserer Reise ganz gut deckt:
Obwohl die erste funktionalistische Idealstadt der Moderne, ist selbst unter Fachleuten ziemlich unbekannt. Als die
Crème de la Crème der avantgardistischen Architekten unter Führung von Le Corbusier 1933 ihre Charta von Athen verfasste, in der die funktionalistische Trennung von Arbeiten, Wohnen und Verkehr
als Leitbild im Städtebau beschlossen wurde, da gab es das alles in Zlín bereits – und es funktionierte. Allerdings – und das war die Crux – nicht als linkes Weltverbesserungsprojekt, sondern als
Instrument zur Effizienzsteigerung der Produktion eines Privatunternehmens. Dass die Arbeiter dazu im Grünen wohnen konnten, in werkseigenen Restaurants nach ernährungswissenschaftlichen
Erkenntnissen verköstigt und im zweitgrößten Kino Mitteleuropas unterhalten wurden, gehörte ebenso dazu wie die ständige Erreichbarkeit der Belegschaft mittels Telefon und deren Mobilität mit
elektrischen Trolleybussen...
Impressionen der planetREISE im März 2025:
Bilderklärung:
von oben links nach rechts: oben: Gespräch mit einer Mitarbeiterin im Infopoint Bat'a und Wohnen, Guide Jan Schabalec, nur wenige Übergänge gibt es über die Hauptstraßen der
Bat'a-Stadt, am zentralen Platz zwischen den ehemaligen Produktionshallen,
Von unten links nach rechts: auf dem Weg zum Wolkenkratzer, das Aufzugsbüro von Thomáš Bat'a, schlicht gehaltene Gedenkstätte von Thomáš Bat'a mit dem abgestürzten Privatflieger, im Schuhmuseum mit Kollektionen aus der Bat'a-Produktion der letzten 100 Jahre.
Text und Fotos: Marco Vanek