Triest: Kurze Episode der Freiheit
Nur mehr wenigen Besucher:innen ist die kurze Periode der Eigenstaatlichkeit Triests nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Doch diese wirft nach wie vor Schatten auf die Gegenwart der Stadt. Eine Replik.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges kam es an der Adria zu einem Wettlauf zwischen jugoslawischen und britischen Truppen, schreibt Christian Hütterer vor einigen Jahren in der Wiener Zeitung. Ziel war die Stadt Triest, und die Jugoslawen entschieden dieses Rennen für sich. Am 1. Mai 1945 zogen sie in der Stadt ein und proklamierten den Anschluss von Triest an Jugoslawien. Doch es war ein kurzer Triumph, der nur fünf Wochen dauern sollte. Im Juni 1945 legte ein Abkommen zwischen den USA, Großbritannien und Tito eine neue Demarkationslinie fest, die Jugoslawen zogen ab und Triest kam unter die Verwaltung der beiden Großmächte.
Bald darauf war der Status der Stadt ein umstrittenes Thema in Paris, wo über einen Friedensvertrag mit Italien verhandelt wurde. Bei diesen Gesprächen wurde der künftige Status von Triest bald zu einem Streitpunkt zwischen Italien und Jugoslawien, aber auch zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion.
Ein Streitfall
Die Stadt war seit dem Jahr 1392 ein Teil der Habsburgermonarchie und fiel nach dem Ersten Weltkrieg samt der Halbinsel Istrien an Italien. Schon damals war Triest ein Streitfall, denn die Stadt selbst war überwiegend von Italiener:innen bewohnt, in den umliegenden Gemeinden lebten aber mehrheitlich Slowen:innen. 25 Jahre und einen Weltkrieg später wurde im Jahr 1945 die Frage, was mit der Stadt und ihrem Hinterland passieren solle, zum ersten diplomatischen Konflikt zwischen den vier Alliierten, die noch kurz zuvor gemeinsam gekämpft hatten.
Keine der Seiten wollte in diesem Streit nachgeben und die Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Italien kamen nicht voran, weil sie sich an der Frage von Triest spießten. Der französische Außenminister Georges Bidault schlug schließlich im Juni 1946 einen Ausweg vor: Weder Italien noch Jugoslawien sollte Triest bekommen, vielmehr das Gebiet internationalisiert werden. Der französische Kompromiss sah die Schaffung eines Mikrostaats an der Adria vor und der Sicherheitsrat der damals noch sehr jungen Vereinten Nationen sollte die territoriale Integrität dieses neuen Gebietes garantieren.
Die Bewohner:innen von Triest wurden erst gar nicht nach ihrer Meinung gefragt, aber die Regierungen in Rom und Belgrad waren sich nun endlich in einem Punkt einig: Beide lehnten nämlich diese Lösung ab. Die Alliierten zogen diesen Plan trotzdem durch und im Jänner 1947 bestätigte der Sicherheitsrat der UNO, dass er die Aufgabe, über Triest zu wachen, übernehmen würde.
Nun stand zumindest dem Friedensvertrag mit Italien nichts mehr im Wege und er konnte im Februar 1947 unterzeichnet werden. Artikel 21 dieses Vertrags sah die Gründung eines "Freien Territoriums von Triest" vor, ein Anhang zum Friedensvertrag enthielt genauere Regelungen, was mit diesem Gebiet geschehen sollte. Darin war vorgesehen, dass die UNO einen Gouverneur für das Territorium ernennen sollte.
Bis es so weit war, wurde das Gebiet in zwei Zonen geteilt. Die Stadt selbst sowie ein schmaler Küstenstreifen bis nach Duino wurden als Zone A von britischen und US-amerikanischen Soldaten besetzt. Die Zone B begann südlich von Triest und erstreckte sich bis zur Stadt Novigrad auf der Halbinsel Istrien, sie wurde von Jugoslawien verwaltet.
Es war ein kleines Territorium, das hier geschaffen wurde, gerade einmal 738 Quadratkilometer groß, mit rund 320.000 Einwohner:innen. Es war neutral und demilitarisiert, Italienisch und Slowenischen waren seine Sprachen, das Kroatische sollte später als dritte Sprache zugelassen werden. An der Spitze dieses Gebiets stand ein Gouverneur, der von den Vereinten Nationen für die Periode von fünf Jahren eingesetzt wurde. Zwar mussten die italienische und die jugoslawische Regierung bei der Auswahl des Gouverneurs einbezogen werden, er selbst durfte aber nicht Bürger eines der beiden Staaten sein.
Die Aufgaben des Gouverneurs waren, die Einhaltung des Statutes des Territoriums sicherzustellen und für innere Sicherheit zu sorgen. Nach dem Statut sollten alle Bürgerinnen und Bürger des Territoriums ein Parlament wählen, das wiederum die Regierung bestimmte. Der Gouverneur durfte zwar nicht in die Gesetzgebung eingreifen, ohne seine Zustimmung konnte aber auch kein Gesetz in Kraft treten. Um das wirtschaftliche Überleben sicherzustellen, wurde ein Freihafen in Triest eingerichtet...
Mit der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Freien Territoriums war es dann doch nicht so weit her. Es entstand ein Mischmasch, in dem die Nachbarstaaten Italien und Jugoslawien sowie die Großmächte Großbritannien und USA ihren Einfluss in Triest sichern wollten. Als Währung galt vorerst die italienische Lira, die Eisenbahn sollte von den italienischen und jugoslawischen Bahngesellschaften betrieben werden, und schließlich durften Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Jugoslawien jeweils bis zu 5.000 Soldaten im Territorium stationieren.
Das größte Hindernis bei der Staatsbildung war, dass sich die Großmächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegenseitig blockierten und sich auf keinen Gouverneur einigen konnten. Die entscheidende Instanz im Territorium wurde also nie besetzt und damit war das gesamte Vorhaben zum Scheitern verurteilt.
Es gab zwar Grenzkontrollen, aber eine eigenständige Verwaltung des Territoriums konnte nicht eingerichtet werden. In der britisch-amerikanisch besetzten Zone A kamen immer mehr italienische Zivilbeamte zum Einsatz, in der Zone B wurde der jugoslawische Einfluss immer größer. Jahre später hatte der Sicherheitsrat wegen der anhaltenden Blockade noch immer keinen Gouverneur ernannt und das Freie Territorium war weiter in der Schwebe. Um die Administration des Gebietes zu erleichtern, einigten sich im Oktober 1954 die USA, Großbritannien, Italien und Jugoslawien darauf, dass die USA und Großbritannien aus der Zone A abziehen und die gesamte Verwaltung an Italien übergeben sollten. Die Zone B sollte weiterhin von Jugoslawien verwaltet werden.
Damit waren Tatsachen geschaffen worden und die Geschichte des Freien Territoriums ging dem Ende zu, ehe sie wirklich begonnen hatte. In der Verfassung von 1963 wurde Triest als Teil des italienischen Staates betrachtet und zwölf Jahre später unterzeichneten Jugoslawien und Italien einen Vertrag über die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten. Mitten im Kalten Krieg hatten die Regierungen in Rom und Belgrad in diesem Vertrag eine Lösung gefunden, mit der beide leben konnten.
Diese kurze Periode der Eigenstaatlichkeit hat in manchen Bereichen noch heute Auswirkungen. Auf einer Tour durch die Stadt erzählte uns der Stadtführer Michele Ciak ausführlich von dieser kurzen eigenstaatlichen Episode. Ein Teil des alten Hafengeländes konnte vor einigen Jahren nicht verkauft werden, weil nach wie vor in den Grundbüchern als Eigentümer das Freie Territorium eingetragen ist. Potentielle Käufer, wie zuletzt der Hamburger Hafen wollten sich nicht auf die unklaren Besitzverhältnisse einlassen und ließen die Finger vom Kauf. Daher wurde bis dato nur ein Teil des alten Hafengeländes renoviert.
Triest soll wieder eigenständig werden!
Das Gebiet des geplanten Freien Territoriums gehört heute zu Italien, Slowenien und Kroatien. Seitdem alle drei Staaten Mitglieder der Europäischen Union sind, hat sich im alltäglichen Leben in der Region vieles vereinfacht und der Status quo der Stadt wird nicht in Frage gestellt.
Dennoch vertreten bis heute einige Aktivist:innen - etwa der Movimento Trieste Libera - die Meinung, dass Triest zu Unrecht ein Teil des italienischen Staates sei, und fordern deswegen, dass das Freie Territorium wiederhergestellt werden soll. Bei den letzten Bürgermeisterwahlen in Triest im Jahr 2021 stimmten etwas mehr als 1.000 Personen für den Kandidaten der "Föderation für die Unabhängigkeit des freien Territoriums von Triest", das waren gerade 1,4 Prozent aller Wahlberechtigten.
Quelle: Christian Hütterer in der Wiener Zeitung vom 25. September 2022,
Impressionen von unserer Triest-Reise zum Jahreswechsel 2024/25
Wir begaben uns auf Spurensuche nach dem Triest in der Habsburger Zeit, nach Rilkes Duineser Elegien, machten einen Ausflug ins alte venezianische
Muggia samt Abstecher ins slowenische Hinterland, erkundeten ausführlich die schön renovierte Innenstadt von Triest mit den vielen gemütlichen Kaffeehäusern, Restaurants und Trattorien und
genossen die milden Tage am Meer.
Die Reise fand vom 29. Dezember 2024 bis 2. Jänner 2025 statt.
Fotos: Marco Vanek, Barbara Vanek, Stefan Benker.