ArchitekTOUR Brünn

Was blieb über vom brünner modernismus?

Nach dem Ersten Weltkrieg etablierte sich in Brno eine eigene Form der zeitgenössischen Architektur. Die reflektierte die Suche nach einer eigenen nationalen Identität, die gleichzeitig modern und traditionsverbunden war. Auf unserer kleinen Reise Ende März 2023 haben wir gestaunt, was alles aus dieser Zeit übergeblieben ist und zum Großteil hervorragend renoviert wurde...

   Der Brünner Architekt Jan Víšek (1890–1966) entwarf das Janáček-Theater in der Rooseveltova, das mit über 1000 Sitzplätzen  zu den größten Theatergebäuden in Tschechien zählt.
Der Brünner Architekt Jan Víšek (1890–1966) entwarf das Janáček-Theater in der Rooseveltova, das mit über 1000 Sitzplätzen zu den größten Theatergebäuden in Tschechien zählt.

Während Prag schon mit neobarocken und Jugendstil-Bauten vollgestellt war, konnten sich im jungen und kleinen Brno moderne Architekten sogar noch im Stadtkern erproben. Bis 1938 war Brno eine mehrheitlich von Deutschen bewohnte Stadt (seit Gründung der Tschechoslowakei die zweitgrößte Stadt im jungen Staat) die in den Innenstadtbezirken residierten und die gesellschaftliche Elite darstellten, während die Tschechen oft als Arbeiter an den Stadtrand abgedrängt waren. Gleichwohl scheinen viele der Bauherren und -frauen den Wunsch nach einer ortsspezifischen Architektur gehabt zu haben. Und die ist es auch, wegen der die Stadt – neben einer historischen Altstadt, einer lebendigen Kulturszene mit allein sechzehn Theatern und der deftigen tschechischen Knödelküche – einen Besuch wert ist.

 

Diese Art des Bauens war zwar von Adolf Loos, Le Corbusier und dem Bauhaus beeinflusst, entwickelte aus diesen Ansätzen aber einen ganz eigenen „mährischen Modernismus“. Wer die Stadt heute besucht, kann auf den Spuren dieser höchst bemerkenswerten Bauten tagelang durch Brünn wandern und wird trotzdem nicht alles gesehen haben. Eine Stadt von dieser Größe mit so einer Menge von modernistischen Bauten und Gebäudeensembles gibt es wohl nur einmal auf der Welt, wie auch die taz in einer Reisereportage vor Jahren bemerkte und unsere Mitreisenden bestätigten.

Villa Tugendhat - Baukultur in schönster Vollendung

Das berühmteste funktionalistische Gebäude in Brno ist natürlich die Villa Tugendhat im Vorort Černá Pole, die 1929 und 1930 nach Plänen des deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe gebaut wurde. Wegen der langen Vorausreservierungszeit konnten wir das Haus nur von außen und den ehemaligen Technikraum im Keller besuchen, wo es eine kleine Ausstellung mit Modellen, Zeichnungen und Möbelstücken gibt. Das was wir sahen, war auch so beeindruckend. Die Böden und das Dach des Hauses ruhen auf verchromten Stahlstützen, die eine vollkommen freie Aufteilung des Grundrisses ermöglichen. Diese neuartige Konstruktionsmethode war die Voraussetzung für Mies van der Rohes Konzept des „fließenden Raums“ ohne tragende Zwischenwände, bei dem einzelne Raumteile durch Vorhänge oder Schiebewände nach Bedarf flexibel abgetrennt werden konnten. Zusammen mit Bildern des Gebäudes verbreitete sich das Prinzip um die ganze Welt. Heute steht die Villa Tugendhat deswegen auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Das Haus erlangte in den frühen 90er Jahren Bekanntheit, als dort die Auflösung der tschechoslowakischen Republik verhandelt und besiegelt wurde.

Villa Stiassni - Wiesners Meisterstück zwischen Moderne und lokaler Wohnkultur

Gerade weil die Villa Tugendhat den strengen Funktionalismus des Bauhauses so kompromisslos durchzog, wurde der Bau nach seiner Vollendung von vielen tschechischen Architekten als teutonischer Fremdkörper im jungen Nationalstaat der Tschechoslowakei angesehen. Ein an lokale Sitten und Gebräuche angepasstes Gegenmodell ist die Villa Stiassni (1927–1929), die der Architekt Ernst Wiesner für die Familie des jüdischen Textilunternehmers Alfred Stiassni entwarf. Auch hier dominiert der Funktionalismus, in seiner monumentalen Gesamtanlage erinnert das Gebäude allerdings eher an die Festung Špilberk. Bei der Inneneinrichtung setzte sich die Industriellengattin Hermine Stiassni durch und stellte den in einem riesigen Garten im hügeligen Masaryk-Viertel befindlichen Bau voll mit „gemütlichen“, dunklen und plüschigen Möbeln, bei deren Anblick Mies van der Rohe wohl den Dienst quittiert hätte.

Café Era - genussvoller Purismus

Das ursprünglich freistehende Wohnhaus von Josef Špunar mit Restaurant und Café Era in der Zemědělská-Straße Nr. 30, erbaut in den Jahren 1927-1929 nach den Plänen von Josef Kranz, gehört zu den architektonisch außerordentlich wertvollen Brünner Denkmälern der Zwischenkriegszeit , das mit seiner Grundriss- und Innenarchitektur den Prinzipien des Purismus und des frühen Funktionalismus folgt.

Für den jungen, angehenden Architekten war die gestellte Aufgabe sicherlich nicht einfach, denn er musste ein Gebäude entwerfen, in dem Café und Restaurant sowie die Wohnung des Eigentümers unter einem Dach konzentriert werden sollten. Besonders kompliziert war die Verbindung und gleichzeitige Trennung von öffentlichem und privatem Raum. Kranz schuf daher mindestens zwei Grundvarianten der Lösung. Letztendlich teilte er das Gebäude horizontal in zwei funktional und räumlich differenzierte Einheiten – ein Restaurant mit Café im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss sowie die Wohnung des Eigentümers, die – mit Ausnahme von Küche und Speisekammer  im  ersten Stock – den gesamten zweiten Stock umfasste.

Weitere Impressionen des Brünner Modernismus

Einer der wichtigsten Vertreter eines schnörkellosen, modernen Baustils ist übrigens in Brno geboren: Adolf Loos, der mit seinem Buch „Ornament und Verbrechen“ ein lautstarker Stichwortgeber für die Architekten in ganz Europa wurde. , Zu  Beginn des 20. Jahrhunderts wollten sie die Baukunst auf ihre Grundformen reduzierten  – so wie auch Mies van der Rohe. Was auffällt, ist, dass Loos in seiner Geburtsstadt praktisch keine architektonischen Spuren hinterlassen hat. Wer Bauten von ihm sehen will, muss nach Prag oder nach Wien fahren. Für alle anderen Besucher:innen bietet Brno allerdings genug moderne Architektur für einen ausgiebigen und inspirierenden Aufenthalt.

 

Noch zu sehen: von link nach rechts: das Batakaufhaus, die katholische Kirche am Kuhberg, ein Einfamilienhaus in der Masaryk-Siedlung, das Hotel International, das Messegelände, das ehemalige Hauptpostamt, das Hotel Avion (4x,) das Kinderkrankenhaus, ein Wohngebäude am Kuhberg:

Text: Marco Vanek, Fotos: Marco Vanek, Barbara Vanek, Emanuela Norer, Walter Werschnig, Quellen: die taz, visitbrno.cz, Cafe Era...