unterwegs Auf einem Fluss, den kaum wer kennt
Nicht umsonst sind große Teile des Unteren Odertals zum Nationalpark erklärt worden. Auf engstem Raum finden sich hier unterschiedlichste Biotope: die Oder selbst, die zahlreichen Altarme, die Schilfgürtel, die überfluteten Feuchtwiesen und der naturnahe Auwald. Mit kleinen Booten haben wir dieses Paradies erkundet.
Bis Mitte des letzten Jahrhunderts war die Oder ein von Frachtschiffen und Ausflugsgästen viel befahrener Fluss. Mit der Grenzlegung zwischen Deutschland und Polen geriet er zunehmend in Vergessenheit. Über viele Jahrzehnte war das Gebiet streng bewacht. Ohne Ausnahmegenehmigung durfte hier niemand mit dem Kanu fahren. Wer das Gewässer querte, tat das meist nur einmal und verschwendete keine Zeit mit Naturbeobachtung. Aus logistischen Gründen siedelte sich auch keine Industrie an, was vorher war, ließ man verfallen.
So konnte sich in den letzten siebzig Jahren ein besonderer Naturraum bilden, der seinesgleichen in Mitteleuropa sucht. Biber, Fischotter, Seeadler bewohnen neben vielen anderen Tierarten den Fluss, der heute so wenig von großen Schiffen befahren wird wie kein anderer Strom Europas. 866 km beträgt die offizielle Länge, die Oderquelle entspringt in Tschechien, ganz in der Nähe wo sich die Quelle der Thaya befindet, die dann aber Richtung Schwarzes Meer fließt. Auf 180 km bildet die Oder die Grenze zwischen Polen und Deutschland, ehe sie ins Stettiner Haff und wenig später in die Ostsee mündet.
Übers Wasser gleiten
Von Schwedt im deutschen Bundesland Brandenburg aus starten wir unsere Flusstour. Ein Stück weiter ist die Oder bereits ziemlich unberührt. Um 1905 herum wurde auch hier ein Deich errichtet und der Hauptstrom in ein kanalartiges Bett gezwängt, der auch heute noch schiffbar ist. Doch die Flussbauingenieure waren so schlau und hatten die Dämme so angelegt, dass die Altarme erhalten blieben. Pumpanlagen sichern einen kontinuierlichen Wasseraustausch zwischen den verschiedenen Abschnitten.
Heute zählen diese Biotope zu den tierreichsten Gebieten Deutschlands. Auf unserer Flusstour mit der Naturführerin Frauke de Vere Bennett haben wir uns selbst ein Bild davon machen können. Fischadler, Seeadler, Milane, zahlreiche Enten, Kraniche, einen Biber, Kormorane und viele andere Tiere haben auf der fünfstündigen Fahrt beobachtet.
Nachdem wir unsere Fahrfertigkeiten auf dem breiten Seitenarm gefestigt haben, biegen wir in einen schmalen Seitenarm ein. Auf den kommenden Kilometern sehen wir nur noch Wasser, Seerosen, blauen Himmel und vor allem Schilf, das sich stellenweise drei Meter über unseren Köpfen wiegt.
Unter einem abgestorbenen Baum entdecken wir eine stattliche Biberburg. Frauke erzählt uns von den Vorratsstuben und der Rolle der Nager als Architekt, Maurer und Gärtner. Weiter geht es durch bunt blühende Wasserlandschaften. Wasserlinsen, Pfeilkraut, Kalmus, Schwanenblume, Schwimmfarne ziehen links und rechts unserer Kanus entlang. In den breiteren Wasserarmen erstrahlen hunderte weiße Seerosen und gelbe Teichrosen.
Der Wasserarm wird zum Schluss immer enger. Die Wasserschneisen sind stellenweise nur so breit wie unsere Boote. Üppige Wasserpflanzen schleifen an unseren Kanus und unsere Paddel müssen nach geeigneten Einstichstellen suchen. Die nächste halbe Stunde lässt uns Zeit und Raum vergessen, so eindrucksvoll schön und wild ist es hier…
Text: Marco Vanek, Fotos: Marco Vanek, Christa Holub
Frauke Bennett zeigt uns den Weg durch die verschlungenen Altarme der Oder