Steinerne Zeugen der lemken
Wer durch die südpolnischen Beskiden wandern, stößt auch auf Zeugen von Krieg und Vertreibung in den letzten hundert Jahren.
Die Niederen Beskiden im südostpolnischen Karpatenvorland haben im Laufe seiner Geschichte viele Herrscher erlebt: polnische Könige, Habsburger Kaiser, deutsche Besatzer, sowjetische Diktatoren. Was durch die Jahrhunderte Bestand hatte, war der starke Glaube seiner BewohnerInnen, die heute Lemken genannt werden.
Zeugen der gewaltsam beendeten Kultur der Lemken gibt es in diesem Landstrich zur Genüge. Des öfteren stießen wir auf steinerne Kreuze am Feldweg, auf verlassene Friedhöfer oder auf jahrhundertealte Holzkirchen. Hier lebte bis Ende der 1940er Jahre die Volksgruppe der Lemken, die man am ehesten den UkrainerInnen zurechnen kann. Die polnischen Kommunisten sahen in «ukrainischen Nationalisten» nach 1945 ein grosses Problem, und sie «lösten» es so, wie man in diesem Teil Europas viele «Gefahren» beseitigt hat: Sie schickten Soldaten und vertrieben Zehntausende in die menschenleer gewordenen einstigen deutschen Ostgebiete jenseits des Karpatenbogens. Heute erinnern Wegkreuze daran, dass der Weg früher eine Dorfstraße war.
Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lebten im heutigen Karpatenvorland etwa 100.000 Lemken Bergbauern, Waldarbeiter, Hirten, Zimmerleute und Steinmetze, Doch sie waren immer eine ethnische Minderheit - und wurden daher von den Behörden als Problem, manchmal auch als Gefahr angesehen. Als die Rote Armee 1944 die Gebiete befreite, einigten sich Polen und die Ukrainische SSR auf einen "Bevölkerungsaustausch", angeblich freiwillig, aber es wurde auch Druck ausgeübt. Rund 450.000 Ukrainer, unter ihnen 70.000 Lemken, verließen ihre polnische Heimat in Richtung Ukraine, umgekehrt wurden knapp 800.000
Polen aus der Ukraine nach Polen "repatriiert". Die Umsiedlungen, die auf "ethnische Säuberungen" hinausliefen, stießen auf Widerstand.
In der Ukraine und den von Russinen, Lemken und Bojken, bewohnten Gebieten Polens kämpften Partisanen der Ukrainischen Aufständischen Armee, UPA, gegen die Kommunisten, für eine unabhängige Ukraine. In ihrem Kampf hatte sich die UPA zeitweise mit Hitlerdeutschland verbündet, was ihren Anhängern den Ruf von Kollaborateuren und Mördern eintrug. Wie so oft ist die Geschichte allerdings komplizierter. "Die Trennlinie zwischen Partisanen, die Helden sind, und solchen, die zu Verrätern und Banditen werden, ist dünn, es ist unmöglich, eine klare Unterscheidung zu treffen", schreibt
Pawel Smolenski. In seinen Reportagen räumt er auf mit den in Polen nach wie vor weitverbreiteten Stereotypen der Ukrainer als grausame Banditen und Mörder.
Im April 1947 starteten die polnischen Kommunisten eine "Strafaktion" gegen alle noch in Südostpolen verbliebenen Angehörigen der ukrainischen Volksgruppen. Zum Anlass nahmen sie die Ermordung eines hochrangigen polnischen Militärs durch die UPA. In Wahrheit war dies bloß ein willkommener Vorwand, die Aussiedlung der "ukrainischen Nationalisten" war längst eine beschlossene Sache. In der sogenannten "Aktion Weichsel" wurden alle Lemken zwangsweise in Gebiete im Norden und Westen Polens umgesiedelt, aus denen zuvor die Deutschen vertrieben worden waren. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, ganze Regionen beinahe entvölkert, erst nach 1956 durften Lemken vereinzelt in ihre Dörfer zurückkehren, doch oft fanden sie nur noch Wildnis vor. Oder sie wurden von den neuen Siedlern als unwillkommene Eindringlinge betrachtet, wenn sie die eigenen Häuser, Friedhöfe
und Kirchen zurückforderten. Viele Dörfer sind heute verschwunden, auf unseren Wanderungen durch die entlegenen Täler
stießen wir zwischen bewaldeten Hügeln auf ihre Spuren: verwilderte Obstbäume, Reste von Friedhöfen, einzelne Hauskreuze. Und wenn wir genauer hinschauten, konnten wir manchmal Umrisse von Fundamenten entdecken.